Moderne Arbeitswelten
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Arbeit 5.0 – sind wir so weit?
Homeoffice, Telearbeit, Coworking … Die Art, wie Büroangestellte heute ihre Aufgaben erledigen, nimmt an Flexibilität stets zu. Die nötige Unterstützung bietet eine Reihe an digitalen Kommunikationstechnologien und kollaborativen Tools, die inzwischen in vielen Betrieben gang und gäbe sind. Doch sind Unternehmen und ihre Beschäftigten trotz des gut funktionierenden technischen Hintergrunds wirklich bereit für die viel beschworene neue Arbeitswelt?
Die Arbeitswelt von heute prägt vor allem der Megatrend Digitalisierung, der Gesellschaft und Wirtschaft überrollt hat und aufgrund des durch die Coronapandemie bedingten Rückzugs der Mitarbeiter ins Homeoffice einen gewaltigen Schub bekommen hat. Das Voranschreiten neuer Technologien und nicht zu vergessen auch die Globalisierung zwingen Unternehmen weltweit dazu, mehr Flexibilität in ihre Organisation zu bringen. Bereits vor einigen Jahren entstandene Arbeitsformen, wie die Durchführung von Projekten in virtuellen Teams, das Arbeiten von zu Hause aus oder an jedem beliebigem Ort zu jeder beliebigen Zeit, etablieren sich endgültig.
Denn ob von unterwegs oder in den eigenen vier Wänden, arbeiten schon seit längerem immer mehr Menschen außerhalb der Unternehmen, die sie beschäftigen. Die Coronapandemie hat diesen Trend nur verstärkt: Von einem Tag zum anderen verließen Heerscharen von Mitarbeitern ihre Firmenbüros und gingen von nun an ihren Tätigkeiten zu Hause nach. Keine Frage: Überwiegend hat dieser plötzliche Umzug ins Homeoffice erstaunlich gut funktioniert. Zwar werken noch viele Wissensarbeiter daheim nicht so komfortabel wie in ihren Betrieben, doch Letztere haben in der Regel sehr schnell dafür gesorgt, dass zumindest die notwendige technische Infrastruktur zur Verfügung steht.
Somit ist Heimarbeit für viele, die sie vorher nicht oder nur sporadisch praktizieren durften, zum Alltag geworden und in den Anfängen haben Homeoffice-Neulinge sie sogar als eine willkommene Änderung begrüßt: Schluss mit dem lästigen Pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, also weniger Stress und mehr Zeit für die eigenen Bedürfnisse, für Familie, sportliche Aktivitäten, Einkäufe oder einfach für Erholung. Plötzlich war es möglich, Berufs- und Familienleben in Einklang zu bringen. Die begehrte „Work Life Balance“ rückte in erreichbare Nähe.
Doch ziemlich schnell machten sich auch Nachteile bemerkbar, die inzwischen immer mehr Homeoffice-Arbeitern viel zu schaffen machen. Vor allem der regelmäßige Austausch mit den Kollegen fehlt. Gewiss kann man mit ihnen telefonieren und sogar im Rahmen von Videomeetings mit ihnen kommunizieren. Doch den berühmten Flurfunk gibt es nicht mehr, die Ad-hoc-Kommunikation, der Plausch an der Kaffeemaschine – ja sämtliche informelle Informationsquellen – gehören der Vergangenheit an. Der Kontakt mit den Vorgesetzten gestaltet sich ebenfalls anders als im täglichen Betrieb in der Firma: Die Anweisungen sind häufig ungenauer, die Rückmeldungen zum Geleisteten seltener, sodass sich viele Homeoffice-Arbeiter alleingelassen fühlten.
Neue Ansprüche an Arbeitsplatz und Arbeitsweisen
Im Zuge des seit Jahren stattfindenden, durch die jüngsten Ereignisse beschleunigten Wandels der Arbeitswelt ändert sich also nicht nur die Art, wie man seine Aufgaben erledigt, sondern zunehmend wandeln sich auch das Verhältnis der Angestellten zu den Betrieben, die sie beschäftigen, und die Anforderungen, die sie an diese stellen. „Die Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Mitarbeitern verändert sich fundamental. Die Diskussion konzentriert sich häufig auf die Unternehmensperspektive, während die Mitarbeiterbedürfnisse dabei in den Hintergrund geraten“, schildert die aktuelle Studie „Voice of the Workforce in Europe Survey“ des Beratungsunternehmens Deloitte und stellt die Frage: „Was brauchen und erwarten Mitarbeiter von der neuen Arbeitswelt und was müssen Unternehmen berücksichtigen, um über engagierte und leistungsfähige Belegschaften zu verfügen und im Wettbewerb langfristig zu bestehen?
Zunächst gilt es, die Tatsache zu berücksichtigen, dass vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen Belegschaften älter werden, da Menschen länger leben und arbeiten. Gleichzeitig gibt der Arbeitsmarkt, was junge Menschen und Fachkräfte angeht, immer weniger her. „Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen daher gezielt um ältere Talente werben und erfahrene Mitarbeiter langfristig an sich binden“, plädieren die Deloitte-Experten.


Leider bleibe dieses Potenzial häufig ungenutzt – eine ebenfalls von Deloitte durchgeführte Umfrage unter europäischen CFOs hat ergeben, dass lediglich 15 Prozent der Befragten explizit auch ältere Arbeitnehmer rekrutieren.
„Dabei bringen Mitarbeiter über 55 Jahre eine große Motivation und Flexibilität mit“, zeigt die „Voice of the Workforce in Europe“-Studie. „Ihre Zufriedenheit ist in nahezu allen Berufsgruppen größer als bei jüngeren Kollegen. Zwei Drittel der deutschen Befragten in der Altersgruppe 50+ wollen bis 65 oder länger arbeiten.“
Auch erwiesen sie sich als offener für alternative Beschäftigungsmodelle wie Selbstständigkeit und Freelancing als die Unter-35-Jährigen. Finanzielle Stabilität, ein umfassender Erfahrungsschatz und ein großes Netzwerk: Diese Faktoren bildeten wahrscheinlich den Grund für die Bereitschaft der Mitarbeiter über 55, Neues zu wagen. Insgesamt seien klassische Beschäftigungsverhältnisse aber noch am beliebtesten, sowohl bei älteren als auch bei jüngeren Befragten.
Auf jeden Fall ist die neue Arbeitswelt bunt gemischt. Durch die Heterogenität der Belegschaften sehen sich Unternehmen mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Denn Angehörige verschiedener Altersgruppen legen logischerweise unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse an den Tag. Laut den Deloitte-Spezialisten jedoch gehen bisher die wenigsten Unternehmen – ganze 16 Prozent – auf diese ungleichen Anforderungen ein.
Gehalt und Sicherheit sind wichtig
Gleich hinter Arbeitsplatzsicherheit und Gehalt nennen mehr als 80 Prozent der deutschen Interviewten weniger fassbare Dimensionen wie „klare Verantwortlichkeiten“, „effektive Führung“, „vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre“ sowie „sinnvolle Aufgaben“. Interessant ist, dass dabei jede Altersgruppe andere Schwerpunkte setzt. So legen ältere Mitarbeiter mehr Wert auf Inhalte, Komplexität und Sinnhaftigkeit ihrer Aufgaben, während den Jüngeren insbesondere Orientierung durch Kollegen und Führungskräfte wichtig sei. „Um heterogene Belegschaften in die neue Arbeitswelt zu leiten, brauchen Führungskräfte mehr als Fachwissen – Einfühlungsvermögen, Flexibilität und andere social Skills sind mindestens genauso wichtig“, ziehen die Studienverfasser ihr Fazit aus den gewonnenen Erkenntnissen. „Das müssen Unternehmen bei der Auswahl und Entwicklung von Führungskräften berücksichtigen.“
Homeoffice for ever?
Und auch nach Ende der Coronapandemie werden sehr viel mehr Menschen im Homeoffice arbeiten als zuvor, lautet die Prognose der Bitkom-Analysten. Ihren Berechnungen nach wird mehr als jeder Dritte (35 Prozent) den Arbeitsort flexibel wählen – dies entspricht 14,7 Millionen Berufstätigen. Immerhin 3,2 Millionen (8 Prozent) werden ausschließlich im Homeoffice arbeiten, weitere 11,5 Millionen (27 Prozent) teilweise. Zum Vergleich: Vor der Pandemie hätten nur 3 Prozent der Berufstätigen (1,4 Millionen) ihre Aufgaben ausschließlich im Homeoffice erledigt, weitere 15 Prozent (6,3 Millionen) teilweise.
Grundsätzlich sehe mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Berufstätigen ihre Tätigkeit zumindest teilweise als Homeoffice-geeignet an. Jeder Fünfte (21 Prozent) könne nach eigener Einschätzung sogar vollständig im Homeoffice arbeiten.
Durch Corona wird eine Mischung aus Homeoffice und neuen Bürowelten zum Normalfall. Sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmen können davon profitieren. „Nach dem für die allermeisten erzwungenen Wechsel ins Homeoffice mit dem Lockdown hat die große Mehrheit in den vergangenen Monaten überwiegend positive Erfahrungen gemacht“, schildert Bitkom-Präsident Achim Berg. Unabhängig von Zeit und Ort zu arbeiten, könne allen Seiten Vorteile bringen, aber das setze einen umfassenden Kulturwandel in der Arbeitswelt voraus.
In der Tat können Veränderungen im Arbeitsalltag für viele Unternehmen eine große Chance bedeuten und die Gelegenheit schaffen, sich neu zu erfinden und sich weiterzuentwickeln. Für den Heimarbeiter kann das Nachgehen seiner Tätigkeiten in den eigenen vier Wänden ebenso positive Auswirkungen haben oder aber auch gewaltig schiefgehen. Und hier hängt vieles von den Führungskräften ab. Denn virtuelle Teams brauchen eine genauso professionelle Begleitung durch Vorgesetzte wie solche, die tagtäglich im Unternehmen anwesend sind. Ein regelmäßiger Austausch, klare Aufgabenstellungen und nicht zu vergessen ausführliche Rückmeldungen erweisen sich als unabdingbar, damit der Heimarbeiter die Orientierung nicht verliert.
Konsequenzen für Führungskräfte
Es wird nichts mehr so sein, wie es war: Das Ende der Präsenzkultur hat bereits begonnen. Die Zukunft liegt in einer Mischung aus Homeoffice und neuen Bürokonzepten. Doch es gilt, diese Hybridisierung der Arbeit so zu gestalten, dass bei allen Produktivitätssteigerungen und Kosten-einsparungen, die sich die Wirtschaft davon verspricht, der Mensch schließlich nicht aus dem Blickfeld gerät. Nur so lassen sich die Chancen, die durch neue Arbeitsweisen entstanden sind, richtig nutzen, und das Potenzial des Wandels vollständig erschließen.
Graziella Mimic