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Neue Arbeitswelten: Mehr Work als Balance?
Das zunehmende Verschwimmen der Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem macht vielen Beschäftigten zu schaffen. Während die einen immer noch auf der Suche nach dem perfekten Gleichgewicht sind und auf die strikte Trennung von Job und Freizeit schwören, streben inzwischen andere eine gekonnte Verschmelzung von Arbeits- und Privatleben an. Hat dieser integrative Ansatz Zukunftspotenzial oder ist es nur ein gefährlicher Trend?

Bereits seit Längerem ist Work-Life-Balance ein Thema. Darüber wird nicht nur gesprochen, sondern auch viel geschrieben. So finden sich im Internet unzählige Tipps, wie sich Privat- und Berufsleben in Einklang bringen lassen. Und nicht zuletzt befassen sich viele Studien damit, wie Arbeitnehmer das Verhältnis zwischen beruflichen und Freizeitaktivitäten bewerten.
Interessant: Der Untersuchung nach wären 23 Prozent der Arbeit-nehmer in Deutschland nach eigenen Angaben auf jeden Fall bereit, auf Teile des Gehalts zu verzichten, wenn sie im Gegenzug mehr Freizeit bekommen würden. Bei Frauen liegt dieser Anteil etwas höher als bei Männern.
Allerdings spricht inzwischen vieles dafür, dass der Begriff Work-Life-Balance nicht mehr zeitgemäß ist. Denn vor dem Hintergrund der fort-schreitenden Digitalisierung und der Möglichkeit, von überall aus zu arbeiten, sowie auch der Tatsache, dass immer mehr Menschen auch außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten arbeiten, ist es immer schwieriger geworden, eine klare Trennung zwischen Beruf und Privatleben zu ziehen.
Neuer Ansatz
Somit gewinnt ein anderer Begriff an Bedeutung: die „Work-Life-Integration“ – viele sprechen auch von „Work-Life-Blending“. Hier wird der Ansatz verfolgt, Arbeit und Leben auf eine natürlichere und organischere Weise miteinander zu verbinden. Das Ziel besteht darin, eine gesunde Integration der Arbeit in das persönliche Leben zu schaffen, die den individuellen Bedürfnissen und Wünschen entspricht, anstatt eine künstliche Trennung zwischen beiden zu erzwingen. Es geht darum, flexibel zu sein und einen Arbeitsstil zu finden, der sich an die persönlichen Lebensumstände anpasst.

Unrealistische Vorstellungen
Die Idee dahinter war, dass das Streben nach einer ausgewogenen Balance zwischen Arbeit und Leben oft unrealistisch und unerreichbar ist. Stattdessen sollte man versuchen, Arbeit und Leben in Einklang zu bringen und diese in einer Weise zu gestalten, die besser auf die individuellen Ziele abgestimmt ist.
„Damit Arbeit nicht die Überhand gewinnt in Zeiten von ständiger Erreichbarkeit und mobilem Arbeiten, soll die Work-Life-Integration den wohltuenden Ausgleich bringen“, schreibt dazu Resilienzexperte Sebastian Mauritz auf seinem Internet Portal Resilienz Akademie. „Work-Life-Integration soll die Arbeitszeit so gestalten, dass sie effektiv genutzt wird und dennoch sich den individuellen Bedürfnissen anpasst.“ Beispielsweise Väter und Mütter stellten andere Anforderungen an flexibles Arbeiten als weniger fest gebundene Mitarbeitende. Das Wichtigste bei Work-Life-Integration sei, weder die Arbeit noch die Freizeit Überhand gewinnen zu lassen, rät noch Mauritz. Hierfür sei die Mitarbeit des Arbeitgebers genauso wichtig wie die eigene innere Haltung.
„Dies hat eine höhere Flexibilität und Selbstbestimmung zum Vorteil“, sagt Ines Bahr, Senior Content Analyst für Capterra – um mehr über die remote arbeitenden Mitarbeiter aus kleinen und mittelständischen Unternehmen zu erfahren, hat der Softwareanbieter eine Studie mit über 2.800 Teilnehmern aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Spanien, Italien, dem Vereinigten Königreich, den USA, Kanada und Brasilien durchgeführt. „Arbeiten können auch am Wochenende und nach der Arbeit, private Angelegenheiten in den ‚normalen Arbeitszeiten‘ erledigt werden.“ Dies führe zu einer höheren Produktivität, da gearbeitet werden könne, wenn man am fittesten sei. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf werde dadurch verbessert.
Doch es gibt auch einige Nachteile: „Schnell kommt es zu Über-stunden, wenn Geschäftsangelegenheiten in der Freizeit erledigt und nicht festgehalten werden“, weiß Bahr.

Gesundheitsrisiken lassen sich ebenfalls nicht ausschließen. „Hier existieren beträchtliche Gefährdungspotenziale, vor allem im Sinne eines höheren Stressempfindens und möglicher gesundheitlicher Gefahren“, zitiert Ines Bahr den Personaler Prof. Dr. Peter M. Wald von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. „Erste Erfahrungen zeigen, dass Mitarbeitende oft nicht in der Lage sind, eine klare Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit beziehungsweise Arbeit und Leben zu erkennen und umzusetzen.“ So könne Work-Life-Blending Zeitdruck sowie Ängste aufgrund von angenommenen oder realen Informationsdefiziten mit sich bringen.”

Auch das Portal Karrierebibel.de sieht neben den Vorteilen von Work-Life-Blending wie Selbstbestimmung, erhöhte Flexibilität und Produktivität sowie die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ebenfalls Nachteile. Neben den bereits erwähnten Überstunden und dem gestiegenen Leistungsdruck warnen die Autoren auch vor Gesundheitsrisiken: „Mangelnde Kontrolle und ständige Überstunden gehen zulasten der Gesundheit. Auch kann nicht jeder so abschalten, wie es bei einer klaren räumlichen Trennung vielen gelingt. Das zieht häufig innere Unruhe und Schlafstörungen nach sich.“
Und in der Tat: 44 Prozent der Mitarbeiter in Deutschland erleben laut der Work-Life-Blending-Studie von Capterra einen leichten bis starken Burnout bei der Heimarbeit. Die meistgenannten Symptome seien dabei ein Gefühl von Isolation sowie Kopfschmerzen und Schlafprobleme.
Ein Konzept, dass dazu beitragen kann, dass Arbeitnehmer Arbeit und Freizeit auf sinnvolle Weise kombinieren und dadurch ein ausgewogeneres Leben führen, indem sie eine produktive Arbeitsumgebung mit einem erholsamen Urlaub verbinden, ist die Workation. Diese kann helfen, Stress abzubauen, da Arbeitnehmer sich an einem neuen Ort aufhalten und von ihren gewohnten Arbeitsstätten Abstand gewinnen.

Das Modell hat Erfolg. „Abwechslung zur Rotation zwischen Büro und Homeoffice durch temporäres Arbeiten an Urlaubsorten wird zunehmend von Arbeitnehmern eingefordert, fand die vom Fachportal www.Workation.de unter Berufstätigen durchgeführte NEWOKA Studie – gefragt wurden die Teilnehmer zu ihren Kriterien bei der Wahl des Arbeitgebers, Anforderungen an Unterkünfte für eine Workation sowie den Motiven wie auch Hürden für das Arbeiten an Urlaubsorten. „Für 62 Prozent aller Befragten ist es bei der Jobwahl ausschlaggebend, ob der Arbeitgeber eine Workation anbietet.“ Ein großer Anteil unter den Befragten erwarteten von potentiellen neuen Arbeitgebern, zumindest einmal jährlich die Option, für mindestens ein-zwei Wochen an einem Urlaubsort arbeiten zu dürfen.
Vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels erfordern zudem viele Jobs von den Beschäftigten lange Arbeitszeiten und hohe Produktivität, damit Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben.
Ein weiterer Faktor ist der gesellschaftliche Druck, der auf vielen Menschen lastet, erfolgreich zu sein. Oft wird Erfolg mit einem hohen Maß an Hingabe an die Aufgabe gleichgesetzt. Diese Erwartungen können dazu führen, dass Menschen bereit sind, mehr Zeit und Energie in ihre Arbeit als in ihr Privatleben zu investieren.
Wer die notwendige Balance zwischen Arbeit und Leben finden will, muss wissen, dass dies bewusste Anstrengungen erfordert. Es gilt, Prioritäten zu setzen, die Arbeitsweise zu optimieren, effektive Zeitmanagement-Techniken anzuwenden und Strategien zur Stressbewältigung zu entwickeln. Nur so ist es möglich, ein gesünderes, glücklicheres und erfüllteres Leben zu führen, sowohl beruflich als auch persönlich.
Im Übrigen besinnt sich laut aktueller Studien die Generation Z wieder auf die strikte Trennung von Arbeit und Freizeit. So sollen die zwischen 1995 und 2010 Geborenen auf Work-Life-Separation schwören. Der Wandel der Arbeitswelt geht weiter.
Fortsetzung folgt…
Graziella Mimic