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Service Design: Das gestalten, was man nicht sieht

Service Design

Das gestalten, was man nicht sieht

Spricht man von Design, denken die meisten an die Entwicklung von gegenständlichen Produkten. Mittlerweile gelangt jedoch die Suche nach immateriellen Lösungen immer mehr in den Mittelpunkt.

In unserer postindustriellen Wirtschaft haben sich die Herausforderungen geändert und trotz fortschreitender Technologien in allen Bereichen scheint der Mensch wieder in den Mittelpunkt zu rücken – als anspruchsvoller Verbraucher, informierter Anwender und mündiger Kunde auf Onlineplattformen, aber auch schlicht und einfach als Bürger. Es geht darum, ihn umfassend zu unterstützen und ihm dabei zu helfen, seine Probleme zu lösen, nicht nur mit Produkten, sondern mit allen möglichen Dienstleistungen.
Diese Dienstleistungen gilt es, genauso methodisch und marktgerecht zu gestalten wie konkrete Produkte auch. Dies erfolgt im Rahmen des sogenannten Service Designs: „Wie bei gegenständlichen Produkten geht es hier um die Gestaltung von Funktionalität und Form – aber eben die von unsichtbaren Produkten, von Services“, erklärt Prof. Birgit Mager, Köln International School of Design (KISD). „Es geht um die Entwicklung innovativer und kundenorientierter Strategien, um die Erarbeitung effizienter und funktionaler Abläufe und um die Gestaltung eines formvollendeten Interface zum Kunden.“

Braucht Service ein Design?

Doch besteht wirklich eine Notwendigkeit, Services zu „designen“? „Gut 2.000 Euro investiert die deutsche produzierende Industrie jährlich im Schnitt pro Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung. Im Dienstleistungssektor belaufen sich diese Investitionen auf circa 65 Euro pro Mitarbeiter pro Jahr“, gibt Mager die verblüffende Antwort. Dementsprechend seien Dysfunktionalitäten und Formlosigkeiten keine Seltenheit im Umgang mit Dienstleistungen: Endlose Wartezeiten, nicht eingehaltene Termine, Unfreundlichkeit, Unzuverlässigkeit sowie die Tortur unsinnig erscheinender Formalien bestimmten den Servicealltag aus Sicht der Kunden.
Und bei den Anbietern von Services herrsche ebenfalls keine Zufriedenheit. Im Gegenteil lamentierten sie über mangelnde Preisbereitschaft der Kunden sowie über massiv schwankende Auslastungen und schlecht motivierte Servicemitarbeiter.
Vor diesem Hintergrund ist es klar, dass rasches Handeln nottut. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Dienstleistungen eines der größten wirtschaftlichen Wachstumspotenziale darstellen. In vielen Betrieben wird die Umsatzzunahme heutzutage zum großen Teil von ihrem Dienstleistungsanteil vorangetrieben. Und dennoch wird im Allgemeinen im Vergleich zur Produktentwicklung und -gestaltung nur in geringem Maß in die Entwicklung von Dienstleistungen investiert.

Die Grundlage für ein Serviceprodukt

Dabei ist gerade die konsequente Betrachtung und Analyse der Serviceprodukte aus der Perspektive des Kunden, die Arbeit von der „Front Stage“ zur „Back Stage“ laut Mager eine kraftvolle und wirksame Methodik, um mit oft einfachen Mitteln große Veränderungen zu bewirken. Exakt an dieser Schnittstellte zum Kunden komme den grundlegenden Kompetenzen des Designs eine zentrale Bedeutung zu: „Bei der Frage nämlich, wie man die unsichtbaren Dienstleistungsprodukte im gesamten Prozess des Konsums für die Kunden, aber auch für die Mitarbeiter sinnlich wahrnehmbar machen kann.“
Und genau so gehen Designer vor. Von Berufs wegen sind sie darin geübt, für bestimmte Probleme Lösungen zu finden: praktische, effiziente und nicht zuletzt auch ansprechende Lösungen. Ebenso sind sie daran gewöhnt, einen Gegenstand oder auch einen Service mit den Augen des Benutzers zu betrachten und der Anwenderfreundlichkeit einen zentralen Platz zu geben. Dabei setzen sie stets die modernsten Technologien ein.
Den Anwender priorisieren, die jüngsten technischen Fortschritte nutzen: Dies ist jedoch nicht alles, was bei der Gestaltung von Services zu beachten ist. Wie beim Design von Produkten wird hier auch planmäßig gearbeitet. So werden anhand spezieller Methoden im Rahmen eines in mehreren Phasen aufgeteilten Ablaufs die Schnittstellen der Interaktion zwischen Dienstleister und Kunde durchleuchtet und bewertet. Die im Rahmen dieser systematischen Vorgehensweise dokumentierten Ergebnisse bilden die Grundlage für die Erschaffung eines „Serviceprodukts“ oder für seine Weiterentwicklung.

Drei Phasen des Service Designs

Ein solcher Prozess besteht meist aus drei Phasen. Zunächst findet die Analyse des Ist-Zustands statt – währenddessen werden das Mikro- und Makroumfeld, die Anspruchsgruppen (die sogenannten Stakeholder) sowie die Ziele der Dienstleistung festgelegt und bewertet. Der Situationsanalyse folgt die „Service Creation“, die Phase der Ideenfindung. Nun gilt es, Mittel zur Lösung der festgestellten Probleme zu erarbeiten. Und schließlich erfolgt in einem dritten Schritt, dem „Service Design“, die Zusammenführung der Servicekonzepte und Prozesse zu einem Service.
Um für die Anforderungen von Kunden und Anwendern geeignete Antworten zu liefern und weitere Faktoren wie unter anderem Ergonomie und Marktfähigkeit des Service zu bedenken, kommen unterschiedliche empirische oder kreative Methoden zum Einsatz. Anhand von Modellen wird in der letzten Phase des Service Designs die Auswirkung im zeitlichen Verlauf kontrolliert und wenn nötig verbessert. Das Ziel liegt darin, ein System zu schaffen, das seine Anwender in die Lage versetzt, in einem bestimmten Serviceumfeld anfallende Probleme zu lösen.

Das Chaos strukturieren

Es geht darum, „das Chaos zu strukturieren“, wie die Hochschule für Wirtschaft in Zürich (HWZ), Institute for Digital Business es formuliert: „Viele Service-Design-Projekte entstehen aus dem Kleinen. Das Problem wird oft noch nicht verstanden. Der Kunde wünscht einen neuen Webshop, eine Analyse der Kundenbedürfnisse (Interview) zeigt aber, dass eine viel umfassendere Lösung gefragt ist, die zusätzliche Services anbietet (zum Beispiel ein Shop im integrierten Servicekonfigurator).“

Iterativer Prozess

Bevor man über die Lösung nachdenkt, solle man versuchen, zunächst das Problem zu verstehen und die Fragestellung in Richtung Experience zu öffnen, statt auf Technologiefragen zu fokussieren, empfehlen die HWZ-Experten. Das Vorgehen folge einem iterativen Prozess. Schließlich sei Service Design eine Weiterentwicklung der Designmethodik, um den Ansprüchen einer sich immer schneller transformierenden Service-Economy gerecht zu werden. „Der Kunde und seine Erfahrung (Journey) stehen im Zentrum. Service Design steht nicht im Gegensatz zum Product Design (UX), sondern stellt eine Ergänzung dar.“
Es wäre falsch zu glauben, dass sich Service Design ausschließlich mit der Gestaltung von Interaktionen befasst. Vielmehr verleiht es dem gesamten Wirkungsbereich einer Dienstleistung effiziente Strukturen. Auch wird es unter dem Einfluss sowohl vom Dienstleistungsempfänger als auch vom Dienstleister kontinuierlich weiterentwickelt. Die Servicemitarbeiter sollen Mittel an die Hand bekommen, mit deren Hilfe sie richtige Entscheidungen treffen können. Zu diesen Hilfsmitteln gehören nicht nur Regularien oder Schulungen, sondern beispielsweise auch adäquat ausgestattete Räume.
Ebenfalls verkehrt wäre es, zu denken, dass bei der Gestaltung von Dienstleistungen weniger Faktoren zu beachten sind als bei der Entwicklung von Produkten. Mit stetigem Blick auf hohe und nachhaltige Designqualität verlangen viele Punkte in beiden Fällen unbedingt Berücksichtigung.

Pflichten beim Service Design

Insbesondere in Hinsicht auf Märkte und Wettbewerb sowie auf wirtschaftliche Aspekte sind einige Kriterien für beide Bereiche absolute Pflicht. Beispielsweise sollte ein Service, wie ein Produkt auch, eine Ergänzung des Markts darstellen. Auch sollte er mindestens ein Alleinstellungsmerkmal besitzen und sich somit von ähnlichen Dienstleistungen unterscheiden.
Wichtig ist zudem, dass der angebotene Service auf modernster Technologie oder aktuellsten Erkenntnissen basiert. Und wie bei Gegenständen ist auch die Preiskalkulation von zentraler Wichtigkeit. Somit sollte die Gestaltung, also das Design der Dienstleistung, keine unerschwinglichen Ausgaben verursachen.
Darüber hinaus gilt es zu sichern, dass sämtliche in dem Service enthaltenen Versprechen auch eingelöst werden. Dabei muss die Dienstleitung nicht nur die Anforderungen des Kundenunternehmens erfüllen, sondern auch der eigenen Firmenkultur und den Wertevorstellungen entsprechen, etwa in Sachen Nachhaltigkeit oder soziale Verantwortung.
Service Design verleiht immateriellen Produkten Form und Strukturen. Neben Qualität, Professionalität und Originalität müssen gut gestaltete Dienstleistungen vor allem eins reflektieren: Innovationskraft. Insbesondere diese Eigenschaft erlaubt es Unternehmen, sich im Wettbewerb zu behaupten, und ist der Hauptgarant für ein erfolgreiches Dasein im Markt.

Graziella Mimic