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Titel: Neue Arbeitswelten

Titel: Neue Arbeitswelten

Kollateralschäden nicht ausgeschlossen

Dass der unaufhaltsame Wandel von Gesellschaft und Beschäftigungsstrukturen ein neues Arbeitsverständnis notwendig macht, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Und doch scheint die von Wirtschaft und Medien oft beschworene Flexibilität in vielen Betrieben – insbesondere im Mittelstand – immer noch Mangelware zu sein. Was tun, damit für Unternehmen und vor allem für ihre Beschäftigten der Einzug in die neue Arbeitswelt am Ende kein Leidensweg wird?
Im Lauf der zwei vergangenen Jahrzehnte haben sich Inhalte und Formen der Arbeit stark geändert. Die Digitalisierung, die wachsende Fokussierung auf Dienstleistungen und der Einsatz von stets ausgeklügelteren Kommunikationstechnologien prägen eine zunehmend mobile Gesellschaft. Der aus der Notwendigkeit, Kosten zu sparen und wettbewerbsfähig zu bleiben, entstandene Effizienzdruck und nicht zuletzt die Globalisierung zwingen die Unternehmen dazu, mehr Flexibilität in ihre Organisation zu bringen.

Glaubt man den Aussagen vieler Wirtschaftsakteure, gelingt dies auch den meisten. Vielerorts wird über reibungslose Arbeitsabläufe und leistungsfähige, in top-ausgestatteten Umgebungen oder in ergonomischen Homeoffices Arbeitende berichtet. Doch sieht die Wirklichkeit tatsächlich so aus, oder gibt es noch viel, viel Luft nach oben?

Adäquate Ausstattung

Nehmen wir zunächst die „reibungslosen Abläufe“ unter die Lupe. Nicht zuletzt mit Blick auf steigende Mobilität setzen effektive Geschäftsprozesse die entsprechende technische Ausstattung voraus. So kann ein Gewinn an Produktivität und an Wettbewerbsfähigkeit für die Unternehmen nur erfolgen, wenn sie ihren Mitarbeitern eine weitestgehend gut funktionierende Technologie zur Verfügung stellen und etliche technische Hürden aus dem Weg räumen. Selbstverständlich sollten sie dafür sorgen, dass sie sämtliche Tools und Anwendungen einwandfrei und sicher nutzen können.
Menschen auf Holzklötzen
Laut Experten suchen Mitarbeiter im heutigen Klima der Unsicherheit nicht nur Klarheit, sondern auch Stabilität.

Vehemente Beschwerden

Leider sieht es in der Praxis häufig so aus, dass sich Arbeiter – insbesondere die mobilen unter ihnen – mit unzureichenden oder gar schlechten Leistungen der genutzten Anwendungen herumplagen und sich infolgedessen vehement bei den zuständigen IT-Kollegen beschweren. Der Grund: Die durch die Pflege der immer zahlreicher werdenden Systeme und Applikationen überlasteten IT-Abteilungen schaffen es nicht, das reibungslose Funktionieren aller Anwendungen zu sichern. So herrscht zunächst Chaos, dort, wo eigentlich eine Verbesserung der Geschäftsabläufe eintreten sollte.

Denn damit sie ihre Tätigkeit von unterwegs mit der gleichen Effizienz wie am Arbeitsplatz verrichten können, sind die Laptop-Nomaden darauf angewiesen, von jedem beliebigen Ort und mit jedem beliebigen Endgerät auf die benötigten Systeme und Informationen problemlos zugreifen zu können. Hier helfen zentralisierte ITK-Architekturen, die den Anwendern den Echtzeitzugriff auf Daten und Applikationen garantieren und es erlauben, verschiedene Systeme und Anwendungen unter ein Dach zu bringen. Und im Gegensatz zu wildwüchsigen und heterogenen IT-Strukturen lassen sie sich zudem ohne großen Aufwand und mit reduzierten Betriebskosten pflegen und administrieren. Der Einsatz von Virtualisierungstechnologien kann deutliche Vorteile schaffen: Nicht nur, dass er es möglich macht, die IT-Ressourcen besser aufzuteilen; er stellt Server- oder Desktop-Applikationen ohne lokale Installation zur Verfügung.

Last, not least gerät ein wichtiger Aspekt viel zu oft in Vergessenheit: die Sicherheit. Bedauerlicherweise gehen sowohl Unternehmen als auch ihre Beschäftigten mit dem Thema immer noch überaus sorglos um. Dabei sollte der Zugriff auf die Firmennetze nicht nur verlässlich, sondern auch sicher sein. Fakt ist aber, dass die Nutzung von mobilen Endgeräten für den Zugang zu unternehmenskritischen Daten ein großes Risiko darstellt. Daher will ihre Integration in die IT-Infrastruktur gut überlegt sein: Die Endgeräte und die Kommunikation mit dem Unternehmensnetz bedürfen der gleichen Absicherung wie Systeme und Zugänge im lokalen Netz.

Verfügbare Technologie

Was die heute zur Verfügung stehende Technologie angeht, sind die Voraussetzungen dafür vorhanden, eine zwar nicht hundertprozentige, aber doch relativ gute Sicherheit beim Arbeiten fern des Firmengeländes zu garantieren. Doch ist eine Kette nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Und wie so oft ist das der Mensch, der durch Achtlosigkeit die strengsten Maßnahmen zunichtemacht. Deshalb sind Unternehmen und ihre Administratoren gut beraten, wie bereits erwähnt das Management der externen Netzwerkzugänge zu zentralisieren, um diese besser kontrollieren zu können. Angenehme Nebenwirkung: eine beträchtliche Senkung der IT-Kosten.

Nicht nur effiziente technische Arbeitsmittel, sondern auch eine vernünftige Büroeinrichtung stellen Unternehmen laut eigener Aussage ihren Mitarbeitern zur Verfügung. Dies tun heute in der Tat immer mehr, wobei das ideale, viel gepriesene offene Arbeitsumfeld mit Konzentrations- und Ruhezonen sowie gut durchdachter Akustik eher in Konzernen als in KMU zu finden ist. Viel zu oft sieht man in mittelständischen Betrieben nicht sonderlich ergonomische Möbel, manch einmal sogar heterogene Notlösungen, die aus längst abgeschriebenen Überbleibseln aus anderen Büros zusammengetragen worden sind.

Menschenmenge von Hinten
Im Mittelstand herrschen laut jüngsten Untersuchungen immer noch starre Strukturen und Anwesenheitskultur.

Ausstattung im Homeoffice

Das Gleiche gilt im Homeoffice, wo häufig an der Einrichtung gespart und der ergonomische Aspekt gänzlich vernachlässigt wird. Denn die Ausstattung des Heimbüros bleibt meist Privatsache und wird in den wenigsten Fällen von den Unternehmen bereitgestellt. Diejenigen Mitarbeiter, die ein Budget erhalten, um sich selbst einzurichten, sind derzeit noch sehr selten. 

Wenn ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern also das Homeoffice gestattet, heißt dies anscheinend noch lange nicht, dass er auch konkrete Unterstützung leistet. Doch wollen überhaupt so viele Angestellte ihre Aufgaben in den eigenen vier Wänden erledigen, wie seit Jahren von etlichen Studien und Untersuchungen immer wieder beteuert?

Mit einem resoluten „Nein“ beantwortet eine repräsentative Befragung von 1.002 Berufstätigen in Deutschland zwischen 16 und 65 Jahren im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. „Vier von zehn Festangestellten (41 Prozent) dürfen im Homeoffice arbeiten, aber die meisten lehnen dankend ab: Wenn Mitarbeiter selbst entscheiden dürfen, wo sie arbeiten, wählt eine deutliche Mehrheit das Büro“, fand die Umfrage heraus. Ganze 62 Prozent der Festangestellten mit Homeoffice-Erlaubnis machten davon keinen Gebrauch, während 38 Prozent lieber in den eigenen vier Wänden oder mobil arbeiteten. „Viele Arbeitnehmer haben mittlerweile die Wahl, wo sie arbeiten“, weiß Bitkom-Präsident Achim Berg. „Anders als man vielleicht meinen könnte, ziehen die meisten Festangestellten das Büro dem eigenen Zuhause vor.“

Und dies aus ganz unterschiedlichen Gründen. Diejenigen, die im Homeoffice arbeiten dürfen, trotzdem jedoch lieber ins Büro gehen, tun dies häufig wegen der sozialen Kontakte. So sagen 59 Prozent, sie legten Wert darauf, im Team zu arbeiten, und 56 Prozent erklären, der direkte persönliche Austausch im Büro sei ihnen wichtig, berichten die Bitkom-Experten. Für viele spielten Arbeitsgewohnheiten ebenfalls eine Rolle. Bereits 52 Prozent geben an, ihre Arbeitsweise erfordere eine persönliche Anwesenheit. Jeder Fünfte (20 Prozent) sei der Meinung, seine Arbeit lasse sich im Homeoffice nicht erledigen, und jeder Siebte (15 Prozent) glaubt, zu Hause nicht produktiv arbeiten zu können.

Fehlende Unterstützung

Darüber hinaus befürchten einige (29 Prozent) einen Karriereknick und gehen lieber ins Büro, um im Unternehmen präsent zu sein. Und 11 Prozent geben an, Bedenken zu haben, dass sich fehlende Präsenz negativ auf die Beurteilung durch Vorgesetzte auswirken und etwa bei einer Gehaltsverhandlung nachteilig sein könnte. „Digitale Technologien machen es möglich, unabhängig von Ort und Zeit zu arbeiten. Aber das flexible Arbeiten erfordert klare Regeln“, mahnt Berg. „Auf Seiten des Arbeitgebers ist Vertrauen gefragt, auf Seiten des Arbeitnehmers ein hohes Maß an Selbstdisziplin.“

Insbesondere die fehlende strukturelle und mentale Unterstützung der flexiblen Mitarbeiter durch ihre Unternehmen bei der Bewältigung der neuen Situation sieht der Autor Michael Wieden als ein Kernproblem. „Es reicht bei weitem nicht aus, den Mitarbeitern vorgeblich neue Freiheiten zu gewähren, sie aber dann bei der Umsetzung, sprich dem Aufbau einer eigenen Organisationsstruktur, sich selbst zu überlassen“, warnte er bereits vor einigen Jahren in seinem Buch „Liquid Work“. „Sich selbst strukturieren zu können und Prioritäten zu setzen ist aber ein absolutes Muss, um in der neuen flexiblen Welt effektiv und gesund leben zu können.“
Mann auf Bürostuhl spielt Fußball
Nicht nur klar definiert, sondern sinnvoll gestaltet muss die Arbeit sein

Negative Folgen

Im Übrigen hat die Tatsache, dass Zeiten der Flexibilisierung eingeschränkt werden wie beispielsweise auf zweimal die Woche, ebenfalls negative Folgen: Mitarbeiter müssen ständig zwischen Freiheit und Einschränkung switchen, ohne dies selbst beeinflussen zu können.

Und mit dem Switchen können sich viele Mitarbeiter nicht anfreunden, genauso wenig wie mit der Ungewissheit, die sich aus dem kontinuierlichen Wandel ergibt, der die Arbeitswelt derzeit prägt. Im heutigen Klima der Unsicherheit suchen Mitarbeiter nicht nur Klarheit, sondern auch Stabilität: Zu diesem Schluss kommt die Global Talent Trends Studie 2019 der Unternehmensberatung Mercer, die Einblicke in die Ansichten von über 7.300 Führungskräften, Personalverantwortlichen und Mitarbeitern aus neun Branchen und 16 Regionen weltweit gibt – in Deutschland wurden 450 Personen befragt. Die Untersuchung fand heraus, dass Arbeitsplatzsicherheit weltweit einer der wichtigsten Gründe ist, warum Mitarbeiter in ihr Unternehmen eingetreten sind, und der Hauptgrund, warum sie bleiben. Jedoch befürchte jeder Dritte, dass künstliche Intelligenz und Automatisierung den eigenen Arbeitsplatz ersetzen werden.

Darüber hinaus ist für zwei Drittel der Mitarbeiter eine deutliche Beschreibung ihres Arbeitsbereichs von zentraler Wichtigkeit. „Eine klar kommunizierte Definition der Aufgaben, der damit verbundenen Verantwortlichkeiten und Karrieremöglichkeiten sowie der Rolle im Team ist deshalb für Mitarbeiter heute wichtiger denn je“, erklärt Sebastian Karwautz, Leiter des Bereichs Career Central & Eastern Europe bei Mercer.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Doch nicht nur klar definiert, sondern sinnvoll gestaltet muss die Arbeit sein. Ein von Effektivität und Relevanz geprägter Arbeitsalltag ist unerlässlich, um Spitzentalente an Unternehmen zu binden. Erfolgreiche Mitarbeiter in Deutschland arbeiten dreimal häufiger für ein Unternehmen, das schnelle Entscheidungsprozesse ermöglicht

(72 Prozent vs. 22 Prozent) und Tools sowie Ressourcen zur Verfügung stellt, damit Arbeit effizient erledigt werden kann (78 Prozent vs. 28 Prozent).
Diese Sinnhaftigkeit der täglichen Aufgabe ist von zentraler Bedeutung, um mit den vielen Gefahren, die Mitarbeitern in Unternehmen heute drohen, fertig zu werden. Denn es ist nicht alles Gold, was glänzt. So hört sich etwa die Ablösung unbeugsamer Hierarchien durch selbstverantwortliche Teams höchst positiv an. Doch dadurch nimmt der Druck auf den Einzelnen zu, begleitet von einer immer strenger werdenden Kontrolle der gesamten Produktionsabläufe und der Arbeitenden selbst mittels moderner Technik. Ein stets höher werdendes Arbeitstempo sowie kontinuierlich wachsende Leistungsanforderungen gepaart mit der ansteigenden Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse machen den Beschäftigten das Leben alles andere als leicht.

Burn-Out & Co.

So sind sich Wirtschaftsexperten und Soziologen inzwischen darüber einig, dass sich dieser steigende Druck und all die heute mit dem Beruf einhergehenden Ängste auf die seelische Gesundheit negativ auswirken. Psychologische Erkrankungen nehmen auf beunruhigende Weise zu. Neben dem oft erwähnten Burn-out-Syndrom verbreiten sich auch Absentismus, Berufskrankheiten, Arbeitsunfälle oder Alkoholismus am Arbeitsplatz. In seltenen Fällen endet ein solcher Leidensweg sogar mit Selbstmord.

Letzteres ist übrigens nicht unbedingt nur auf ein schwierig zu meisterndes Arbeitsleben zurückzuführen, zumindest nicht direkt. Häufig kommen zu den beruflichen Problemen auch private hinzu, die zumeist aufgrund des Mangels an Zeit für Privat- und Familienleben entstehen – ein schwer zu durchbrechender Teufelskreis.
Mann am Schreibtisch mit Hammer auf dem Kopf - Symbolbild
Ein stets höher werdendes Arbeitstempo sowie kontinuierlich wachsende Leistungsanforderungen gepaart mit der ansteigenden Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse machen den Beschäftigten das Leben alles andere als leicht.
Wie dem auch sei, ein rasches Handeln tut auch hier not. Nicht nur, dass eine Arbeitswelt, die Menschen krank macht, vom ethischen Standpunkt betrachtet absolut verwerflich und mit der sozialen Verantwortung, die sich die meisten Unternehmen auf die Fahne geschrieben haben, nicht vereinbar ist. Hinzu kommt, dass sich Arbeitgeber Mitarbeiter, die lange vor dem Rentenalter „unbrauchbar“ geworden sind, in Zeiten des Fachkräftemangels keinesfalls leisten können.

Vor diesem Hintergrund bleibt Unternehmen nichts anderes übrig, sofern sie sich nicht um etliche Vorteile bringen wollen, als alles daran zu setzen, die für die neuen Arbeitsformen notwendigen organisatorischen Rahmenbedingungen zu schaffen – mit dem Einsatz modernster Technologien alleine ist es längst nicht getan. Und sie sollten es nicht versäumen, ihre Beschäftigten an der Neugestaltung der Strukturen und vor allem der Unternehmenskultur aktiv mitwirken zu lassen. Mehr als Vertrauen, nämlich Zutrauen ist gefragt. Nur so werden begeisterte, hundertprozentig engagierte und zufriedene Mitarbeiter ihre Höchstleistungen schließlich bringen.

Graziella Mimic