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Digitalisierung und Umwelt: einander nicht grün?

Digitalisierung und Umwelt: einander nicht grün?

Virtuell, sauber und nicht fassbar: So kommt die Digitalisierung den meisten vor. Ihren Hintergrund jedoch bilden Technologien, die zu „Brandbeschleunigern“ von Umweltzerstörung und Klimawandel werden könnten – einige Politiker warnen bereits. Was hat es mit dieser Aussage auf sich und wie lässt sich diese Entwicklung aufhalten?


Die Digitalisierung prägt nicht nur unsere Arbeitswelt, sie tangiert alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft. Ihre Gestaltung ist zu einer zentralen Frage geworden, die nicht nur Politik, Experten und Unternehmen, sondern uns alle beschäftigt.
Genauso präsent in allen Diskussionen ist das Thema Umwelt. Nicht ohne Grund, denn die systematische Ausrottung von Klima, Luft, Böden, Flora und Fauna und die anarchistische Urbanisation in manchen Gegenden der Welt stellen ein weiteres Bestehen unserer Lebenswelten und unserer Wirtschaftssysteme stark infrage. Inzwischen hat die methodische Zerstörung der natürlichen Ressourcen ein solches Ausmaß erreicht, dass die Zukunft der nächsten Generationen enorm beeinträchtigt wird. Nicht umsonst gehen Schüler regelmäßig auf die Straße, um ihre Sorgen um unseren Planeten kundzutun.

Wie wirkt sich die Digitalisierung auf die Umwelt aus?

Vor diesem Hintergrund stellt sich ganz dringend eine Frage: Wie wirken sich digitale Technologien auf unsere Umwelt aus? „Die Digitalisierung geht mit immer weiter steigenden Energie- und Ressourcenverbräuchen sowie globalen Produktions- und Konsummustern einher, die die Ökosysteme noch massiver belasten“, antwortet der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).
„Dass auch die Digitalisierung erhebliche Auswirkungen auf Umwelt und Natur hat, wurde lange unterschätzt“, erläutert seinerseits das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) – auf der re:publica 2019 im vergangenen Mai stellte das BMU seine Eckpunkte für eine umweltpolitische Digital-agenda vor und machte erste Vorschläge für eine umwelt-, klima- und naturgerechte Digitalisierung. Unverändert fortgesetzt werde der digitale Wandel zum Brandbeschleuniger für die ökologischen und sozialen Krisen unseres Planeten, weil er die Überschreitung der planetaren Grenzen weiter vorantreibe: mehr Energie- und Rohstoffverbrauch, mehr Konsum und mehr Verkehr.
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Gerade für Streamingdienste nehmen Rechenleistung und Energiebedarf stetig zu.
(Foto: shutterstock)

Energiebedarf nimmt durch Rechenleistung zu

In der Tat nimmt der Energiebedarf weltweit kontinuierlich zu, während die Energieträger immer knapper werden – die digitale Transformation trägt einen großen Teil dazu bei. „Digitale Medien und Informationstechnologie durchdringen unseren Alltag, und laufend kommen neue Anwendungen und Geräte hinzu. Ihr Energiebedarf ist bereits heute enorm – und wird weiterwachsen“, gibt der BMU zu bedenken – so funktionieren elektronische Geräte wie Computer, Notebooks oder Smartphones nicht ohne Strom. „Was viele Menschen aber nicht immer im Blick haben, sind die Rechenzentren, die hinter den vielen Anwendungen stehen, die das Internet nutzen.“
Startet man beispielsweise eine Suchmaschinenanfrage, werden im Hintergrund die Datenbanken des Suchmaschinenanbieters durchforstet. Die Verwaltung und Durchsuchung solcher Datenbanken sowie die sekundenschnelle Wiedergabe deren Inhalte über das Internet setzt eine enorme Rechenkapazität seitens des Anbieters voraus. Insgesamt verbrauchen Rechenzentren in Deutschland erheblich mehr Energie als sämtliche Computer, Notebooks und Smartphones zusammen. Diese Energie wird nicht nur für die Datenverarbeitung durch die Prozessoren erforderlich. Die Klimatisierung und die Unterbrechungsfreie-Stromversorgung(USV)-Anlagen, die empfindliche Technik der Rechenzentren auch bei Schwankungen im Stromnetz und Stromausfällen schützen, weisen ebenfalls einen hohen Bedarf auf.
Ferner erweisen sich große Energiemengen für die Telekommunikationsinfrastruktur – etwa für Glasfaser- und weitere Kabel, Funkanlagen für mobiles Internet oder spezielle Netzwerktechnik für die Weiterleitung der Daten – als notwendig. Nicht zuletzt ist auch das Videostreaming ein Energiefresser. Laut BMU nimmt es mit einem Anteil von fast 80 Prozent am Gesamtvolumen des Datenverkehrs die Spitzenposition ein. „Die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen schaut mehr Filme und Videos über das Internet (54 Prozent) als im Fernsehen (46 Prozent), während sich die 30- bis 49-Jährigen 75 Prozent der Filme und Sendungen im Fernsehen ansehen“, zitiert das BMU das Ergebnis der ARD/ZDF-Onlinestudie 2018.
Überhaupt seien in den vergangenen Jahren viele Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) komplexer geworden und erforderten mehr Rechenleistung. Dieser Trend werde sich im Zuge der weiteren Digitalisierung künftig fortsetzen. Eine Entwicklung, die zu einem enormen Mehrbedarf an Rechenleistung führe, stelle beispielsweise der Einsatz von Verschlüsselungsverfahren, sogenannten Kryptoverfahren dar.
Im Allgemeinen also treibt die Nutzung digitaler Technologien den Energieverbrauch in die Höhe. „Der Digitalsektor ist für einen rapide wachsenden Anteil der weltweiten Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich. Und anders als in der Wirtschaft insgesamt, deren Energieintensität im weltweiten Durchschnitt abnimmt, erhöht sie sich bei Information und Kommunikation (IuK) weiter deutlich“, kommentiert das Magazin Technology Review eine neue Studie des französischen Think-Tanks The Shift Project. Laut der Shift-Forscher sei der aktuelle Trend zum „digitalen Überkonsum“ keinesfalls nachhaltig. Schließlich sei nicht zu erkennen, dass Digitalisierung in den vergangenen fünf Jahren positive Auswirkungen auf Wachstum oder Produktivität gehabt hätte.

Ressourcen effizienter nutzen

Somit sind die bisherigen Erkenntnisse keinesfalls ermutigend. Doch sind Hopfen und Malz endgültig verloren? „Während IKT einerseits zusätzliche Ressourcen wie Energie und Edel- sowie Sondermetalle beansprucht, bietet sie andererseits zahlreiche Möglichkeiten, in anderen Bereichen Ressourcen effizienter zu nutzen. Hinzu kommen Anwendungen im Umweltschutz“, stellt das BMU fest.
Noch nicht geklärt sei derzeit die Frage, ob aus ökologischer Sicht die Vorteile der Digitalisierung oder die Nachteile durch die Bereitstellung von IKT und Netzinfrastruktur überwiegen – immerhin seien viele Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung heute noch nicht absehbar. Aus diesem Grund hat das BMU mögliche Potenziale der Digitalisierung mit Blick auf die Umwelt aufgelistet.
Zu diesen Potenzialen gehören im Bereich der Industrieproduktion die Verbesserung von Herstellungsverfahren und Prozessen durch den Einsatz von IKT, sodass sich Energie und Materialien viel effektiver nutzen lassen. Weitere Verbesserungschancen gibt es auch im Bereich der Schadstoffemissionen von Anlagen, des Wassermanagements sowie des Chemikalien- und Gefahrstoffmanagements. Und was die Energieversorgung angeht, ermöglichen erst IKT-Anwendungen die Einbindung von erneuerbaren Energien – überhaupt bildeten sie die Grundlage für intelligente Stromnetze.

Chancen für Verkehr und Logistik

Darüber hinaus biete die Nutzung von IKT für Verkehr und Logistik einige Chancen. „Sogenannte smarte Logistiklösungen könnten dazu führen, dass im Güterverkehr und bei Lieferungen weniger Luftschadstoff- und Treibhausgasemissionen anfallen“, meint das BMU. Ebenso könne der verstärkte Einsatz von IKT erlauben, die Nutzung von Recyclingmaterialien auszubauen und somit den Rohstoffbedarf zu senken. Materialien und Produkte ließen sich mithilfe von IKT über die gesamte Produktionskette und den Lebensweg nachverfolgen, sodass alle Materialien und Komponenten von Produkten recycelt werden könnten. Und schließlich könne IKT in der Landwirtschaft dazu beitragen, Dünger und Pflanzenschutzmittel gezielter einzusetzen und somit schädliche Umwelteinwirkungen zu verringern. Bei Verfügbarkeit detaillierter Daten über den Bodenzustand und die klimatischen Verhältnisse ließen sich darüber hinaus Fruchtfolgen und Bodenbearbeitungsmethoden ideal auf die Gegebenheiten des jeweiligen Standorts abstimmen.

Nutzungsdauer von Geräten sinkt

Doch so einfach, wie es aussieht, ist es nicht. „Den Chancen für mehr Ressourceneffizienz und Klimaschutz durch IKT stehen eine Reihe von Risiken gegenüber“, warnt das BMU. „Dazu gehört in erster Linie das Risiko, dass durch das Wachstum der Rechenzentren sowie der Netzinfrastruktur und durch die steigende Zahl von Geräten der Energie- und Ressourcenbedarf weit stärker ansteigt und die ökologischen Vorteile zunichtemacht.“ Hinzu komme, dass bei einigen Elektronikgeräten die Nutzungsdauer sinke, weil immer wieder innovative und leistungsfähigere Geräte auf den Markt kommen.

Problem: Edelmetalle

Vor diesem Hintergrund bestehe die Aufgabe darin, den steigenden Bedarf an IKT-Leistung vom Einsatz an Rohstoffen und Energie zu entkoppeln. Ein besonderes Augenmerk liege auch auf manchen Edel- und Sondermetallen, die unverzichtbar für bestimmte Bauteile sind. „Einige dieser Rohstoffe werden unter problematischen Bedingungen gefördert, und die Vorkommen sind begrenzt. Ein weiteres Problem ist, dass nur sehr kleine Mengen der Edel- und Sondermetalle in den IKT-Geräten vorhanden sind und ein Recycling kaum wirtschaftlich ist“, schildert das BMU.

Zudem gebe es die Sorge, dass sich zwar die Effizienz der Hardware verbessere, dies jedoch gleichzeitig zu einer verstärkten Nutzung oder einem Anstieg des Konsums führe, also zum sogenannten Rebound-Effekt.

Klare Regeln, bitte

Will man Nachhaltigkeit garantieren, kommt man also nicht drum herum, den digitalen Wandel zu gestalten und klare Regeln zu formulieren. „Ohne aktive politische Gestaltung wird der digitale Wandel den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie die Schädigung von Umwelt und Klima weiter beschleunigen. Daher ist es eine vordringliche politische Aufgabe, Bedingungen dafür zu schaffen, die Digitalisierung in den Dienst nachhaltiger Entwicklung zu stellen“, lautet eine der wesentlichen Botschaften eines neuen Gutachtens des WBGU, das vor Kurzem in Berlin übergeben wurde.
Es gehe kurzfristig darum, die Digitalisierung mit den im Jahr 2015 vereinbarten globalen Nachhaltigkeitszielen (SDGs, Agenda 2030) sowie den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang zu bringen. „Neue Technologien sollten gezielt und umfassend genutzt werden, um Menschen Zugang zu Basisdienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung, Energie und (Umwelt-)Informationen zu verschaffen und zugleich Umweltzerstörung zu verhindern“, verlangt der Umweltbeirat der Bundesregierung. Beispiele seien die Förderung der Energiewende durch den Einsatz intelligenter Energienetze, die Senkung des Fahrzeugaufkommens in Städten durch geteilte Mobilität, die den Besitz eines PKW überflüssig macht, und die Nutzung digitaler Technologien für die Kreislaufwirtschaft.
Neben dieser „vorausschauenden Politikgestaltung“ regt der WBGU an, die Nachhaltigkeit des digitalen Wandels zum Wettbewerbs- und Standortvorteil der EU zu machen und sogar einen UN-Gipfel zu dem Thema einzuberufen. Gefragt ist auch die Wissenschaft, wenn es heißt, bestimmte Fragen zu klären: „Einschätzungen über die Auswirkungen der Digitalisierung, etwa auf den Verbrauch seltener Erden, sind oft widersprüchlich und mit hoher Unsicherheit verbunden. Gleichzeitig sind mit dem Instrumentarium, das die Digitalisierung bietet, umfangreiche Beobachtungs- und Analyseaufgaben möglich.“ Wissenschaft stehe vor der Aufgabe, mehr belastbares Wissen über die Wirkungen digitaler Technologien als Basis für gesellschaftspolitische Diskurse zu schaffen und sie auch über digitale Gemeingüter der Weltgemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Zudem solle öffentliche wie private Technologieforschung Fragen von Ethik und Nachhaltigkeit systematisch berücksichtigen.
Es sind allesamt vielversprechende Vorschläge, die zu den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit aus der politischen Ecke kommen. Doch es könnte noch etwas dauern, bis aus den vielen Anregungen und Forderungen klare Regeln entstehen, um digitale Transformation und Umwelt in Einklang zu bringen. Bis dahin sind sich die beiden einander nicht grün.

Graziella Mimic