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Wirtschaftskriminalität: Die Gefahr aus den eigenen Reihen

Wirtschaftskriminalität: Die Gefahr aus den eigenen Reihen

Von schwarzen Schafen und weißen Westen

Gefälschte Geschäftsbücher, Veruntreuung, Korruption, aber auch Datendiebstahl oder Kreditbetrug: Wirtschaftskriminalität blüht, gedeiht und richtet großes Unheil an – je höher die Bösewichte in der Firmenhierarchie angesiedelt sind, umso größer die Schäden. Doch immer noch verkennen Unternehmen die Gefahr aus den eigenen Reihen.
Immer wieder gibt es sie, die spektakulären Korruptionsfälle, mit denen sich die Presse wochenlang beschäftigt und die oft die Gesellschaft spalten – die einen regen sich unendlich über solche Geschehnisse auf und bezeichnen sie als absolut unmoralisch, die anderen meinen, so liefe die Welt nun mal. Weniger aufsehenerregend, doch genauso verbreitet grassiert die Wirtschaftskriminalität im „bescheideneren Stil“. So gehen quer durch alle Branchen die oft jahrelang im Stillen begangenen sogenannten Kavaliersdelikte den Firmen an die Substanz. Kriminelle Handlungen gab es in Unternehmen zwar schon immer. Doch in Zeiten gesättigter Märkte und sich abzeichnender Rezession begünstigt der zunehmende ökonomische Druck die Verbreitung von kriminellen Machenschaften. Die Hemmschwelle sinkt, stets komplexer werdende und somit schwer zu durchblickende Betriebsabläufe sowie neue technische Möglichkeiten tun ein Übriges.

So verursacht Wirtschaftskriminalität in Deutschland Jahr für Jahr hohe Schäden. Laut dem Bericht „Wirtschaftskriminalität – Bundeslagebild 2021“ des Bundeskriminalamts (BKA) ist die Anzahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfassten Fälle von Wirtschaftskriminalität im Jahr 2021 um 4,2 Prozent gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr hat die Begehung von Wirtschaftsstraftaten unter Verwendung des Tatmittels Internet um 13,6 Prozent zugenommen. Der überwiegende Teil dieser Fälle betraf den Deliktsbereich Betrug (83,3 Prozent). Diese Entwicklung steht im Kontext eines generellen Anstiegs aller Straftaten unter Nutzung des Tatmittels Internet im Berichtsjahr um 19,7 Prozent.
Der im Jahr 2021 durch Wirtschaftskriminalität verursachte finanzielle Schaden war für 27,4 Prozent des in der PKS ausgewiesenen Gesamtschadens (8,920 Milliarden Euro) verantwortlich. Die Daten in der PKS können das tatsächliche Ausmaß der Wirtschaftskriminalität jedoch nur eingeschränkt wiedergeben. Dies liegt zum einen daran, dass in den polizeilichen Statistiken solche Wirtschaftsstraftaten nicht erfasst sind, die von Staatsanwaltschaften oder von Finanzbehörden unmittelbar und ohne Beteiligung der Polizei bearbeitet wurden wie beispielsweise Arbeitsdelikte und Subventionsbetrug. Zum anderen ist im Hinblick auf die Interessenlage der Opfer wie etwa bei Anlage von Schwarzgeldern oder Befürchten eines Imageverlusts von einem in Teilbereichen gering ausgeprägten Anzeigeverhalten und damit verbunden von einem großen Dunkelfeld auszugehen.

Immaterielle Schäden

Neben den finanziellen, also materiellen Schäden gilt es, auch die aufgrund krimineller Handlungen entstandenen immateriellen Schäden zu betrachten – sie sind zwar schwer zu quantifizieren, erweisen sich jedoch als wichtige Faktoren für die Bewertung des Schadenpotenzials der Wirtschaftskriminalität. Dazu gehören beispielsweise Wettbewerbsverzerrungen durch Wettbewerbsvorsprünge des mit unlauteren Mitteln arbeitenden Wirtschaftsstraftäters sowie die Gefahr, dass infolge finanzieller Abhängigkeiten und Verflechtungen bei einem wirtschaftlichen Zusammenbruch auch jene Geschäftspartner betroffen sein können, die an den kriminellen Handlungen der Täter keinen Anteil hatten

Wer sind die Täter?

Auch die gesundheitlichen Gefährdungen und Schädigungen Einzelner als Folge von Verstößen gegen das Lebens- und Arzneimittelgesetz, gegen das Arbeitsschutzrecht, das Umweltstrafrecht und gegen Markenrechte zählen laut dem BKA zu den durch Wirtschaftskriminalität verursachten immateriellen Schäden. Dies tun schließlich auch nicht unerhebliche Reputationsverluste von einzelnen Unternehmen oder auch ganzen Wirtschaftszweigen sowie mögliche Vertrauensverluste in die Funktionsfähigkeit der bestehenden Wirtschaftsordnung. Laut der Studie „Wirtschaftskriminalität in Deutschland 2020“, bei der im Auftrag von KPMG 1.000 Unternehmen befragt wurden, hatte fast jeder dritte Betrieb in den zwei Jahren vor Veröffentlichung der Untersuchung mit wirtschaftskriminellen Handlungen zu tun. In vielen Fällen hatten interne Täter die Hände im Spiel. Die Unternehmen gaben Nachlässigkeit als Hauptgrund für die Vorfälle sowie unzureichende Kontrollen und mangelndes Unrechtsbewusstsein an.
„Die Gefahr droht auch von innen“, weiß Barbara Scheben, Leiterin Forensik bei KPMG in Deutschland. „Darum ist es so wichtig, durch gezielte Präventionsmaßnahmen, wie zum Beispiel Schulungen zur Sensibilisierung oder die klare Definition von Verhaltensgrundsätzen und Leitbildern, das Risiko von wirtschaftskriminellen Handlungen zu minimieren.“

Doch wer sind die Täter und was sind ihre Motive? Was bewegt Menschen dazu, der eigenen Firma untreu zu werden und kriminelle Energie zu entwickeln? Glaubt man der Rechtsprechung, geht von neu eingestellten Mitarbeitern eine besondere Gefahr aus. Solche, die sich jahrelang absolut loyal und zuverlässig gezeigt haben, verdienten Vertrauen. Dies täten auch hoch qualifizierte und in der Unternehmenshierarchie hoch angesiedelte Mitarbeiter.
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STIRB LANGSAM: Quer durch alle Branchen gehen die oft jahrelang im Stillen begangenen sogenannten Kavaliersdelikte den Unternehmen an die Substanz.
Männlich, Mitte 30 bis Mitte 40, langjähriger Mitarbeiter und in einer Führungsposition, vor allem im Finanzbereich oder Vertrieb, beschreibt dagegen eine frühere KPMG-Studie den typischen Wirtschaftskriminellen. In den meisten Fällen habe der Täter laxe interne Kontrollen ausgenutzt: Weil er lange im Unternehmen und in der Hierarchie relativ weit oben sei, genieße er hohes Vertrauen. Er kenne die Prozesse in- und auswendig und könne Kontrollmechanismen dadurch viel leichter außer Kraft setzen.

Mangelnde Sanktionierung

Zu den Aspekten, die das Gedeihen von Wirtschaftskriminalität in Unternehmen begünstigen, zählt die weit verbreitete mangelnde Bereitschaft zur Sanktionierung von Fehlverhalten. „Nur 56 Prozent der befragten Firmen leiteten ein Verfahren ein, um den schwerwiegendsten Vorfall zu untersuchen“, berichten die Experten von PwC in ihrer Studie „Global Economic Crime and Fraud Survey 2020“, die einen zu laschen Umgang vieler Firmen mit Straftaten feststellte – Im Rahmen der Erhebung wurden über 5.000 Unternehmen in 99 Ländern befragt, davon etwa 100 Unternehmen aus Deutschland. Lediglich ein Drittel hätte zu den jeweiligen Vorfällen an die Aufsichtsgremien Bericht erstattet. Eine höchst bedenkliche Haltung: „Die Erwartungen der Öffentlichkeit und die Anforderungen an Unternehmen und ihre Aufsichtsgremien hinsichtlich der Aufarbeitung von Wirtschaftsstraftaten sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen“, schildert Claudia Nestler, Leiterin Forensic Services bei PwC Deutschland. Reagiere ein Unternehmen zu zaghaft auf einen Vorfall, könne sich dies rasch zu einer umfassenden Krise für das Unternehmen ausdehnen.

Und wer nicht ungestraft bleibt, wird zumindest mit einem anderen Maß gemessen. „Wirtschaftsstraftäter werden milder bestraft als andere Kriminelle“: Diese Vermutung äußerte Dieter Temming, Vorsitzender Richter am Landgericht Osnabrück, bereits 2012 auf einer Tagung der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung in Frankfurt – betrachte man die Fälle, die an die Öffentlichkeit gelangen, sollte diese Behauptung auch zehn Jahre danach noch Gültigkeit besitzen. Die FAZ gab damals die Aussage des Richters wieder, dass die entsprechenden Daten zwar nicht wirklich belastbar seien – wenngleich die Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamts zeige, dass solche Ermittlungsverfahren häufiger eingestellt würden. Auch würden dort weniger Freiheits-, aber mehr Bewährungsstrafen verhängt. Doch die „gefühlte Annahme“, dass das Wirtschafts- und Steuerstrafrecht ein „soft law“ sei, werde durch konkrete Fälle gefestigt.
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KRIMINELLE MACHENSCHAFTEN: In Zeiten gesättigter Märkte und sich abzeichnender Rezession begünstigt der zunehmende ökonomische Druck die Verbreitung von kriminellen Handlungen.
Nicht zuletzt sei laut Temming eine „psychologische Komponente“ im Spiel: Dass über Menschen mit sozial angepasster Lebensführung und höherer gesellschaftlicher Stellung häufig wesentlich milder geurteilt werde, sei keine besondere Form der Klassenjustiz. Vielmehr werde solchen Personen, die die Justizorgane zu ihrer eigenen gesellschaftlichen Schicht zählten, schlicht mehr Verständnis entgegengebracht. Für Betrüger werden die Risiken also immer geringer. Nicht nur, weil sie aus den bereits genannten Gründen oft ungestraft bleiben, sondern weil viele Täter einfach nicht entdeckt werden.  Wie dem auch sei, in einem sind sich alle Untersuchungen und Befragungen zu dem Thema einig: Der immer härter werdende Wettbewerb lässt das Wirtschaftskriminalitätsrisiko deutlich steigen. Der Druck, der aus unrealistischen Zielvorgaben hervorgeht, animiert immer wieder in Not geratene Manager, mit strafbaren Mitteln immer höher gesteckte Umsatzziele zu erreichen.
Was die Unternehmen angeht, stellen – wie bereits erläutert – unzureichende interne Kontrollen häufig eine Ursache für kriminelle Taten dar. Bedeutet dieses Defizit, dass die Betriebe mit dem Thema nichts am Hut haben oder sich womöglich in falscher Sicherheit wiegen? In der Tat konnten die KPMG-Analysten eine Diskrepanz zwischen allgemeiner und eigener Risikoeinschätzung erkennen. So sehen mehr als drei Viertel (78 Prozent) der Befragten ein hohes oder sehr hohes Risiko für Betriebe, von wirtschaftskriminellen Handlungen betroffen zu sein. Bezogen auf die eigene Firma seien es allerdings nur noch 30 Prozent, die dies befürchten.

Reaktion statt Prävention

Vielleicht deswegen zeigen sich so viele Unternehmen eher zurückhaltend, wenn es darum geht, in Prävention und Aufklärung zu investieren, um Wirtschaftskriminalität in den eigenen Reihen zu bewältigen. Immer noch wird eher in die Reaktion als in die Prävention investiert. Es bleibt also noch viel zu tun. Insbesondere übersehen viele Unternehmen die Gefahr durch technische Schwachstellen und ziehen die Eventualität eines Fehltritts in Sachen Informationsschutz kaum in Betracht. Generell kommen Schutzmaßnahmen zu kurz. Zu diesem Schluss kommt auch das Bundesinnenministerium und warnt seit Jahren vor steigender Wirtschaftsspionage in Deutschland. Insbesondere in kleineren und mittelständischen Unternehmen bestehe oftmals kein ausreichendes Gefahrenbewusstsein für Technologiediebstahl.
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HÖCHST BEDENKLICH: Die Gefahr durch technische Schwachstellen übersehen Unternehmen häufig und ziehen die Eventualität eines Fehltritts in Sachen Informationsschutz kaum in Betracht.
Somit ist es höchste Zeit zu handeln. Nur eine durchdachte und mit letzter Konsequenz eingesetzte Strategie kann Abhilfe schaffen, wenn es darum geht, die Risikoabwehr zu verbessern. Eine sich rasch entwickelnde Bedrohungslandschaft zwingt Unternehmen, ihre Schwachstellen- und Compliance-Analysen zu verstärken.

Strenge Regeln reichen nicht

Doch Compliance hin oder her - bei der Prävention von Korruption und Wirtschaftskriminalität ausschließlich auf die Verschärfung von Regeln und Kontrollen zu setzen, wie die meisten Firmen es tun, reicht lange nicht. Und bei der Entwicklung einer Integritätskultur im Unternehmen kommt vor allem der Vorbildfunktion des Top-Managements eine große Bedeutung zu. Legt der Chef ein rücksichtsloses Verhalten an den Tag und nutzt die Firmenressourcen für Privatzwecke, werden sich die ihm unterstellten Mitarbeiter nicht unbedingt dazu verpflichtet fühlen, nach strengen ethischen Grundsätzen zu handeln. Womöglich kann der eine oder andere sich sogar berechtigt fühlen, es ihm nachzumachen – in einem viel bescheideneren Umfang, versteht sich.

Schließlich ist es das Management, das die Regeln setzt. Durch sein Handeln und seine Vorgaben – nur dadurch – bestimmt es die Unternehmenswerte. Alle Sonntagsreden, Absichtserklärungen und andere Lippenbekenntnisse helfen definitiv nicht.

Graziella Mimic